Kaum ein Märchen wurde so oft nacherzählt wie Aschenputtel, doch nur wenige Adaptionen sind so unauffällig revolutionär wie der tschechische Film Drei Haselnüsse für Aschenputtel (1973) von Václav Vorlíček mit der brillanten Libuše Šafránková in der Hauptrolle. Dieser beliebte tschechische Film untergräbt die traditionelle Aschenputtel-Erzählung, indem er eine Heldin präsentiert, die nicht nur ein Opfer der Umstände ist, sondern eine junge Frau mit Handlungsfähigkeit, Intellekt und spielerischem Trotz. Unter der schneebedeckten Märchenkulisse verbirgt sich eine fesselnde Auseinandersetzung mit Psychologie, Geschlechtsidentität und neu interpretierter Sexualität – ein ergiebiges Thema für tiefere Analysen.
Aschenputtels Psychologie und innere Stärke
Von Anfang an wird Popelka nicht als passive Leidende dargestellt, sondern als emotional belastbare und geistig rege junge Frau. Die verwaiste und trauernde Frau lebt unter der Kontrolle ihrer Stiefmutter, die zwischen eisiger Grausamkeit und schwelendem Groll schwankt. Ihre Stiefschwester ist kleinlich und spöttisch. In ihrem Umgang miteinander schwingen Anklänge an häusliche Gewalt und psychische Vernachlässigung mit – Szenen von Geschrei, emotionaler Erniedrigung und Schweigen erinnern auf beunruhigende Weise daran, dass dies mehr als nur eine märchenhafte Unannehmlichkeit ist.
Doch Popelka ist alles andere als gebrochen, sondern entwickelt eine Art verborgene Widerstandskraft. Ihr Überleben ist sowohl psychologisch als auch physisch. Ihre wahren Verbündeten sind nicht andere Machthaber, sondern die Tiere, die sie pflegt, und ein treuer Helfer (Vladimir), der sich an ihre Eltern erinnert und ihr wahres Ich erkennt. Diese Gefährten sind nicht bloße, gesprächige Kumpels, sondern Symbole einer Welt, in der Empathie und Erinnerung fortbestehen – in der Liebe den Verlust überdauert.
Anders als die romantisierten, beschönigten Heldinnen der goldenen Disney-Ära ist Šafránkovás Popelka psychologisch komplex. Sie sucht weder Erlösung noch bemitleidet sie sich selbst. Ihre Entscheidungen – ob sie einen Jägermantel anzieht, in Rätseln spricht oder den Prinzen zum Duell herausfordert – spiegeln einen vielschichtigen Charakter wider, der seine Realität mit List und Mut verarbeitet. Die Psychologie dieser Aschenputtel wurzelt nicht in Eskapismus, sondern in Selbstbestimmung und kreativem Widerstand.
Geschlechternormen in Frage stellen
Das vielleicht auffälligste Element von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist die Demontage traditioneller Geschlechterrollen. Popelka ist keine passive Prinzessin in spe. Sie reitet, schießt Pfeile und überlistet die männlichen Charaktere um sie herum – nicht durch Magie oder Verführung, sondern durch Geschick und Intellekt. Ihre weibliche Identität wird durch ihr maskulin gefärbtes Verhalten nie geschmälert; vielmehr suggeriert der Film, dass Stärke und Sanftheit in einer einzigen Figur koexistieren können.
Auch ihre Beziehung zum Prinzen – gespielt von dem sagenhaft eitlen (und witzigen) Pavel Trávníček, der später in seiner Karriere John Travolta in Pulp Fiction für das tschechische Publikum meisterhaft synchronisierte – weicht vom archetypischen Märchendrehbuch ab. Ihre Romanze beruht nicht auf sofortiger Verliebtheit, sondern auf Neugier und gegenseitiger Bewunderung. Popelka wird vom Prinzen nicht nur wegen ihrer Schönheit „auserwählt“ – sie gewinnt seine Aufmerksamkeit durch Witz, Unabhängigkeit und körperliche Stärke. So entwirft der Film ein Partnerschaftsmodell, das auf Gleichheit und spielerischer Rivalität statt auf Hierarchie oder Rettung basiert.
Sexualität und Leistung
Im Gegensatz zum traumhaften Nebel von „Valerie und ihre Woche der Wunder“ , in dem die heranwachsende Valerie durch eine surreale Landschaft aus Verlangen, Angst und fragmentierter Sexualität stolpert, bietet „Drei Wünsche für Aschenputtel“ eine subtilere, selbstbewusstere Darstellung der Weiblichkeit. Valeries Welt ist von Symbolik und Bedrohung durchdrungen, ihre Sexualität ist etwas Mysteriöses und sich noch entwickelndes – neugierig, ungeschützt und oft von anderen manipuliert.
Popelka hingegen, obwohl technisch gesehen in einem Kindermärchen, wirkt in ihrer Verkörperung reifer. Ihre Sexualität ist nie das zentrale Thema, doch die stille Zuversicht, mit der sie sich durch die Welt bewegt, ist nicht zu übersehen. Sie spielt mit der Inszenierung – sie erscheint verschleiert, in Jagdkleidung oder mit Asche bedeckt auf dem Ball – nicht, um Begierde zu wecken, sondern um die Wahrnehmung zu kontrollieren. Es ist keine Verführung, es ist Strategie.
Während Valeries Erfahrung von Initiation und Verletzlichkeit geprägt ist, ist Popelkas Erfahrung von Befehlsgewalt geprägt. Sie ist sich bewusst, wie sie gesehen wird, und nutzt dieses Bewusstsein gezielt. Ihre Verwandlung hat etwas zutiefst Ermächtigendes – nicht in eine idealisierte Prinzessin, sondern in verschiedene Versionen ihrer selbst, die jeweils ihrem Zweck dienen. Ihr Körper steht, anders als der von Valerie, nie zur Disposition – er gehört ganz ihr.
Diese vielschichtige Darstellung der Geschlechter erschwert auch die Wahrnehmung von Romantik durch den Zuschauer. Der Prinz verliebt sich nicht in eine idealisierte Jungfrau, sondern in jemanden, der ihn immer wieder verwirrt und herausfordert. Auf diese Weise lenkt der Film die märchenhafte Sexualität subtil weg von der Objektivierung hin zu Verbundenheit, Neugier und der Destabilisierung von Normen.
Aber ... dieser Prinz?
Und dennoch – reden wir über den Prinzen.
Trotz seiner königlichen Wangenknochen und seiner charmanten Verwirrung ist Pavel Trávníčeks Prinz, offen gesagt, ein bisschen wie ein wandelnder Pfau. Er ist verwöhnt, eitel und so in seiner eigenen Langeweile versunken, dass die Jagd sein einziges Hobby ist. Er bekommt Wutanfälle, neckt seine Freunde und braucht schrecklich lange, um zu erkennen, dass der mysteriöse „Junge“, der ihn im Wald besiegt, eigentlich ihm ebenbürtig ist – Popelka selbst. Man fragt sich also unweigerlich: Warum ER?
Ziehen sich Gegensätze an? Ist sie von der Idee bezaubert, nicht Kürbisse, sondern Prinzen zu verwandeln – aus diesem oberflächlichen Flirt einen anständigen Menschen zu machen? Oder vielleicht, nur vielleicht, ist Popelka gar nicht auf der Suche nach dem perfekten Partner, sondern nach ein bisschen Spaß. Schließlich hatte sie eine ziemlich trostlose Familiensituation. Vielleicht war ein unbeschwerter Flirt mit einem gutaussehenden, lernfähigen Mitglied des Königshauses genau das, was sie brauchte.
Oder – provokanter – vielleicht weiß sie genau, wer er ist, und sie wählt ihn nicht aufgrund dessen, wer er jetzt ist, sondern aufgrund dessen, wer er mit einer Frau wie ihr an seiner Seite werden könnte. Eine feministische Neuinterpretation des alten Klischees: Nicht die Frau muss gerettet werden, sondern der Mann.
So oder so verleiht es der ansonsten makellosen Schneekugel des Märchens eine merkwürdige Note. Ihre Wahl ist nicht ohne Widersprüche, und vielleicht ist das der springende Punkt: Liebe ist, wie Menschen, chaotisch, unvollkommen und wird manchmal aus Gründen gewählt, die die Logik nicht ganz erklärt.
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist nicht nur wegen seines Charmes, sondern auch wegen seiner leisen Radikalität so beliebt. Der Film verwandelt ein abgedroschenes Märchen in eine Geschichte über psychische Widerstandsfähigkeit, Geschlechterfluidität und emotionale Intelligenz. In Libuše Šafránkovás unvergesslicher Darstellung erleben wir ein Aschenbrödel, das nicht von einem Prinzen gerettet wird, sondern ihm – mit all seinen Fehlern – als gleichwertig begegnet. Diese Adaption ermutigt Zuschauer – ob jung oder alt –, sich neu vorzustellen, was es bedeutet, zu wachsen, zu lieben und dazuzugehören, weit über die Grenzen der traditionellen Märchenweiblichkeit hinaus. Auf seine sanfte, schneebedeckte Art ist Drei Haselnüsse für Aschenbrödel eine der fortschrittlichsten und psychologisch aufschlussreichsten Nacherzählungen des Märchens, die je gedreht wurden.
Originales tschechisches Filmplakat für „Drei Haselnüsse für Cibnderella“.